Donnerstag, 19. November 2009

Wie wichtig du bist

Ein Mann steht vor der Kasse, seine Haare werden am Ansatz grau und sind von seiner Frau oder Tochter mit dem Nudelsieb gestutzt. Halbwegs sportlich sieht er aus, grauer Wollmantel, und trägt im linken und rechten Ohr einen kleinen Stecker, einer in der Form eines Kreuzes der andere irgendwie quadratisch.
Wer mit 20 als Mann einen Ohrring trägt probiert halt ein bißchen rum, es passt zum persönlichen Stil wie auch immer, es ist legitim. Mit 40 zeugt das ganze von Pseudocoolheit, I'm-still-Rock 'n Roll-Attitüde und schlechtem Geschmack.
Solche Leute gehen zu Rolling-Stones Konzerten.
Er hat ein herablassendes Lächeln aufgesetzt, das er wohl „herausfordernd“ bezeichnen würde, und spricht mich an.
„Herr Deininger, die Dame hat sich vorgedrängelt“.
Mit „die Dame“ meint er seine ganz offensichtlich Bekannte, mit der er sich schon gut 10 Minuten direkt vor der Kasse unterhalten hatte und der er, ganz toller Kavalier, soeben demonstrativ den Vortritt gelassen hatte.
„Nein gar nicht, ich weiss nicht wovon der Herr spricht“, sagt die Mittelstandsvertreterin im beliebigen Bürochic.
Ich bin tatsächlich kurz irritiert, hasse mich sofort dafür, ihm auch nur für ein halbe Sekunde fast auf den Leim gegangen zu sein.
„Herr Deininger“, Namensschilder sind ein Fluch, das er mich in einem Tonfall ansprechen kann der Vertrautheit suggeriert, wir kennen uns nicht, ich will ihn nicht kennen. Ich bin nicht sein Kumpel und schon gar nicht der Komparse in dem beschissenen Überlegenheits-Improvistationstheater, dass er versucht hier aufzuziehen.
„Das ist eine absolute Unverschämtheit, ich war vor der Dame da, sie müssen mich vor ihr dran nehmen“. Ich bin nicht die Mama. Sei ein Mann und regle deine Konflikte selbst, du Pussy, will ich sagen, lächle stattdessen und fange an, die Dame abzukassieren.
„Also Herr Deininger, wirklich, ich werde das der Filialleitung melden müssen“. Dann mach mal Meldung, du Advokat in eigener Sache. Ich darf nichts sagen, er ist im Vorstand der Handelsinitiative, also hält er alle Geschäfte der Stadt für seine Geschäfte. Dementsprechend sind alle Mitarbeiter dieser Geschäfte seine Untergebenen.
Und verdammt will er sein, wenn er sie das nicht spüren lässt. Überhaupt ist er uns turmhoch überlegen, an Intelligenz, Charme und simplem Durchsetzungsvermögen. Er hat es zu was gebracht. Als leitendes Mitglied der Konsumkasper dieser großen und schönen Stadt verhandelt er verkaufsoffene Sonntage und Nightshoppings, und das macht er aber auch gut. Sein Geschick wurde am letzten Sonntag offenbar, als in 5 der umliegenden Käffer auch verkaufsoffener Sonntag war und am Samstag davor „lange Einkaufsnacht“ in Stuttgart.
Wer so gut ist, kann selbstbewusst auftreten.
„Also wirklich, ich bin enttäuscht von ihnen“. Ich bin auch enttäuscht von mir. Enttäuscht von der Reihe maximal mittelmäßiger Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass ich ihm seine Frechheiten nicht um die Ohren hauen darf. Um einen Job zu behalten, der mir ein Auskommen sichert, das mich laut „Spiegel“ und „Handelsblatt“ zur Unterschicht rechnet. Knapp über dem Mindestgehalt.
Irgendwann merkt er dann auch, dass ich nicht spielen will heute. Nachdem ich seiner Begleitung alles mit einem Gutschein für den Umtausch als Weihnachtsgeschenk verpackt habe, wobei ich 2 Päckchen noch einmal öffnen darf, weil sie doch lieber das blaue Papier hätte, zieht er ab. Er kann mich aber selbstverständlich nicht so einfach davonkommen lassen. Ich hole ihm und der Dame also noch einen Kaffee aus unserem Selbstbedienungsautomat und räume Bücher von einem Tisch, damit seine Majestät auch auf dem Sofa Kaffee trinken kann. Im Cafébereich, der eigentlich dafür vorgesehen ist, sitzt schließlich der Pöbel.
Was mich so wütend macht ist, dass ich ihm ausgeliefert bin. Solange er mich nicht persönlich beschimpft oder hangreiflich wird muss ich alles hinnehmen. Denn jeder Kunde ist eine Chance! Gerade der schwierige! Wenn sie es schaffen ihn für unser Unternehmen zu gewinnen, dann haben sie alles richtig gemacht. Ihr Lebenszweck ist dann erfüllt.
Ja denke ich. Gerne. Aber nicht für das Geld.





Zum Ende noch ein Lieblingslied. Wer mir sagen kann welches Lied von welcher Band das ist die/den lade ich zum Kaffee ein!

She shoplifts some Christmas gifts / and a bracelet for herself / and considers phoning home. / Has some quarters in her hand.
But she sits down/ on the sidewalk / and bites her bottom lip / and spends the afternoon / willing traffic lights to change.

2 Kommentare:

  1. The Weakerthans - Exiles Among You
    Ich bin so froh, dass ich mir bei solchen Situationen mir nicht mehr alles gefallen lassen muss. Du hast mein Mitgefühl. Ach und Geschenke einpacken muss ich auch nicht mehr :) Gibt es bei uns nicht im Laden. Zu Hause ist es doch am schönsten ;)
    Wann bekomme ich meinen Kaffee in Leipzig?

    Bussi
    Die Mina

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  2. Weakerthans-Exiles Among You
    zum Kaffee musst du mich aber in Leipzig besuchen! :)

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