Freitag, 20. Juni 2014

Richtig hassen

Es ist drei Jahre her, seitdem ich hier etwas geschrieben habe. Statt zu schreiben führte ich in der Zeit ein erfolgreiches 2-Stufen Programm für mehr Gleichgültigkeit durch. Das war nötig geworden, mein Temperament und meine Geisteshaltung näherten sich einem Zustand den wohl selbst Muffi, der Hassschlumpf als "extrem" bezeichnet hätte.

Der erste Schritt ging so: Ich habe aufgehört Zeitung zu lesen, weder gedruckt noch im Netz. Vor allem die Kommentare unter den Artikeln von der F.A.Z. waren Gift für meinen Gleichmut. Zuviel alternativlose Kapitalismusapologie, Sarrazin-Sympathisanten und Menschen die zur AfD ja sagen.
Den Fernseher hatte ich zu dem Zeitpunkt schon länger abgeschafft. Der war auch zu gefährlich. Eine Folge Dschungelcamp, perfektes Promi-Dinner Sleepover unter Tage oder ähnliche Formate lösten bei mir zuverlässig den Wunsch aus mindestens einen Häuserblock voller Formaterfinder niederzubrennen oder den Programmchefs von VOX und RTL2 den Begriff "ausschlachten" mal in einem ganz anderen Kontext persönlich zu erläutern.

Nachdem also sichergestellt war das nichts mehr meine Knöpfe mit der Dampframme drücken konnte, ging es im 2. Schritt darum die geeigneten Betäubungsmittel zu finden. Alkohol oder Härteres kam nicht in Frage, da es zwar schön dumm und vor allem gleichgültig macht, auf Dauer und in der geforderten Regelmäßigkeit aber leider auch tot.
Nach einigen Versuchen die vom exzessiven Konsum von Internetinhalten die sich mit spaßigen aber sinnfreien Dingen beschäftigen (Computerspiele, Möbeldesign, Europapolitik) bis hin zur Selbstzerstörung durch Trimm-Dich versuchte ich so einiges. Ich hätte nicht suchen müssen.
Arbeit in Kombination mit stundenlangem Autofahren bis zur Erschöpfung der meisten körperlichen und geistigen Reserven entpuppte sich ganz natürlich als bestes Mittel zur Einschränkung der Gefühlswelt und Hirntätigkeit. Regeneration wurde in den wenigen freien Stunden zur Priorität Nummer eins.

Gut. Hätte ich natürlich ahnen können. Ich hatte den übermäßigen Genuss von sogenannter Arbeit und die einhergehende Beschäftigung mit Officeprodukten im allgemeinen und Excel im besonderen schon länger im Verdacht, eine der Hauptgründe zu sein warum wir uns die täglichen Frechheiten von Politik und Arbeitgebern so widerstandslos bieten lassen. Schön das mal bestätigt zu wissen.

Diese beiden wunderbaren Maßnahmen, konsequent angewandt, führten bei mir zu einer epischen Scheißegal-Haltung. Quasi wie Zen nur eben nicht mit Erleuchtung, sondern Umnachtung.
Ich schaffte es zu fast allem die Achseln zu zucken und zu lächeln:

Arbeitstag von 6 bis 21:30?

Gerne, schlafe ich wenigstens gut.

Du findest Massentierhaltung alternativlos, das Fleisch im Supermarkt ist eh schon zu teuer. Außerdem, die Arbeitsplätze?

Sicher, wenn das deine Meinung ist.

Am Sonntag wählst du AfD weil die haben wenigstens ein Konzept und sind authentisch und überhaupt, die vielen Neger?

Natürlich, vielleicht gibt es dann auch bald mal wieder ein paar neue Autobahnen...

Außerdem habe ich mindestens 10 Kilo zugenommen und sehe jetzt mit 35 beinahe aus wie die 35jährigen, wie die ich mit 28 auf gar keinen Fall aussehen wollte.
Ich habe seither nicht mehr ernsthaft an einem Text gearbeitet.
Ich habe mich nicht mehr gestritten.
Ich habe gelächelt und so getan als würde ich für die tägliche Portion Kacke die man aufgetischt bekommt applaudieren.
Ich habe nur noch gekocht zum Zweck der Nahrungsaufnahme.
Ich habe nur noch ganz selten mitgesungen und wenn dann war es mir egal ob ich die Töne treffe oder nicht.

Mir war neben dem Hass auch die Liebe abhanden gekommen.

Ohne die geht es aber nicht.

Wie also leben?
Ohne Romantik, Luftschlösser, Blut und Knarren lohnt es sich nicht. Bei der kleinsten Dummheit auf alles und jeden einzuschlagen ist aber hässlich und macht einsam.
Außerdem läuft es, ist man konsequent, vor allem auf Selbstgeißelung hinaus.
Ich weiß es nicht.
Nur eines ist sicher: Es heißt wieder "Raus aus der Beliebigkeit".
Hassen will gelernt sein. Lieben sowieso.


Diplomatie ist auf jeden Fall fürs erste wieder aus, ihr Arschgeigen. Ihr wisst, wehr Ihr seid.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen